Wir waren stolz auf unseren neuen Fahrzeugsitz. Unser Kunde, ein großer Automobilhersteller, plante die Umstellung seiner kompletten Produktpalette nach den Sommerferien. 50 Tage vor diesem Serienstart dann die Hiobsbotschaft: Ein Sicherheitstest ging schief. So wird der Sitz keine Zulassung bekommen.
Bei Durchsicht der Versuchsberichte mussten wir feststellen: Der gleiche Test zeigte neun Monate früher bereits das gleiche Ergebnis. Also: Neun Monate wertvolle Zeit verloren. Unbeabsichtigt ist diese Information nicht ins Team durchgedrungen, der Fehler hatte sich zum Monster entwickelt. Und jetzt bewährte sich, dass unser Chef Feuerwehrmann war: Feuerwehrleute denken nämlich zuerst an die rettende Lösung. Gesagt getan, alle zusammen an einen Tisch und los geht’s: Wir haben es gerade so geschafft, mit einer provisorischen Maßnahme den Serienstart abzusichern.
Diese Erfahrung hat mein bisheriges Berufsleben geprägt. 5 Maximen für eine offene Lernkultur:
1. Es gibt keinen Sündenbock
Fehler entstehen immer als Kette von Ursachen und Wirkungen. Darauf basiert die 5-Why-Methode zur Ursachenanalyse von Fehlern. Eine geschickte Fehlervermeidung setzt immer bei den tieferen Ursachen des Fehlers an. Ich liebe die 5-Why-Methode, weil sie im Team durchgeführt wird und gnadenlos lösungsorientiert ist. 5-Why schließt eine Zuweisung von Schuld kategorisch aus, weil in einer Ursache-Wirkungs-Kette niemals einer Person allein der Fehler passiert sein kann.
2. Aus Fehlerkultur wird Lernkultur
Eine lernende Fehlerkultur kann nur entstehen, wenn Führungskräfte sie vorleben. Anstatt Schuldzuweisung steht die Beseitigung des Fehlers, oder mindestens die Abmilderung der Fehlerfolgen im Vordergrund. Führungskräfte machen klar, dass Fehler Investitionen in die Verbesserung sind, aber nur, wenn die daraus gezogene Lernerfahrung konsequent im Unternehmen umgesetzt wird.
3. Lernkultur verankern, aber wie?
Aus Fehlern lernen? OK, das wissen wir jetzt. Aber wie kommen wir in die Lernkurve? Also brauchen wir einen Prozess? Die berühmten Lessons learnt? Das ist aus meiner Sicht nicht der richtige Ansatz. Der Prozess ist wieder mit Zwang verbunden, da kommt selten etwas Vernünftiges raus. Lessons learnt verstauben in einer Datenbank und werden nie wieder angeschaut.
Aus der Luftfahrt kommt hingegen die Erkenntnis, dass sich Fehler nie komplett vermeiden lassen. Deshalb werden Firewalls eingezogen, um Fehler abzufangen und die Auswirkung von Fehlern zu minimieren:
- Ausbildung, Verfahren und Checklisten zielen auf die Vermeidung von bereits bekannten Fehlern
- Gegenseitige Kontrolle der Besatzungsmitglieder und unmittelbares Ansprechen von Fehlern unabhängig von der Hierarchie
- Nachbesprechung (Debriefing), um Fehler ohne Schuldzuweisung zu diskutieren und abzustellen
Diese Form der Institutionalisierung empfehle ich auch für Unternehmen, da diese Maßnahmen die Fehlerkultur im Tagesgeschäft präsent machen und sie so zur Routine werden.
4. Transparenz und Kommunikation
Flache Hierarchien und ein kooperativer Führungsstil unterstützen die offene Fehler- und Lernkultur. Das Vertrauen, das Führungskräfte ihren Teams entgegenbringen, wird mit offener Kommunikation belohnt. Wann haben Sie das letzte Mal Ihrem Chef stolz von einem Fehler und der gemachten Lernerfahrung berichtet?
5. Der Fehler darf nicht zum Kunden
Kundenorientierung bedeutet vor allem, Fehler nicht bis zum Kunden durchzutragen. Aber wie geht das? Sind Fehlermöglichkeiten bekannt und gibt es eine Vermeidungsstrategie ist sicherzustellen, dass der Fehler nicht wiederholt wird, zum Beispiel durch die bereits beschriebene Firewall.
Der andere Aspekt der Fehler- und Lernkultur hat experimentellen Charakter. Und Experimente können schief gehen, so dass dieser Bereich vom Kunden abgeschirmt wird. Diese Kultur des Trial-and-Error ist es, die Innovationen hervorbringt.
Unternehmen mit einer nicht ausgeprägten offenen Fehlerkultur steuern den Umgang mit Fehlern nicht aktiv und dann kommt es vor, dass Fehler zum Kunden durchrutschen. Fazit: Eine offene Fehler- und Lernkultur hat direkten Einfluss darauf, wie sich das Unternehmen seinen Kunden präsentiert.
Welche Erfahrungen haben Sie im Umgang mit Fehlern gemacht? Haben Sie vielleicht Schuldzuweisungen erlebt? Gar nicht so unwahrscheinlich, denn eine positive Fehler- und Lernkultur ist in deutschen Unternehmen noch nicht sehr verbreitet, wie eine Studie von Ernest & Young aus dem Jahr 2018 zeigt.
„Wer einen Fehler gemacht hat und nicht korrigiert, begeht einen zweiten.“
Konfuzius
Quellen:
https://blog.wiwo.de/management/2018/12/04/ey-studie-fehlerkultur-wenn-mitarbeiter-vertuschen-um-nicht-selbst-bauernopfer-zu-werden/
https://de.wikipedia.org/wiki/5-Why-Methode